Aller Abschied ist schwer
Ich werde dich vermissen, Nicaragua.
Es war so plötzlich. Surreal. Ein
Alptraum. Aber es war die Realität.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich
es in Worte fassen soll. Wie auch? Wie soll ich bloß die richtigen
Worte finden, um meine Gefühle zu beschreiben? Wie fühlt es sich
an, wenn sich ganz plötzlich alles ändert und du die Menschen, mit
denen du so viel Zeit verbracht hast, die dir ein zweites Zuhause
geschenkt haben, die dir das Gefühl gegeben haben, Teil der Familie
zu sein, verlassen musst. Menschen, die du jeden Tag gesehen hast, die immer für dich
da waren und nun zu den besten Freunden zählen. Wie fühlt es sich
an diese Menschen plötzlich verlassen zu müssen?
Es war der 17.05. Die letzten Tage
hatte ich bereits keine Schule mehr, da wir Freiwilligen aus
Sicherheitsgründen zu Hause bleiben mussten. Für die, die es noch
nicht wissen: die derzeitige politische Situation in Nicaragua ist
angespannt. Es kommt zu gewaltsamen Protesten im ganzen Land. Ich
möchte hier nun nicht weiter darauf eingehen. Bitte informiert euch
eigenständig.
An dem Morgen des besagten 17.05 rief
mich Nici ( die Freiwillige, die 30 Meter von mir entfernt wohnt) an:
„Komm sofort rüber. Sofort. Beeil dich!“. Ich machte mich gleich
auf den Weg, mit einer bösen Vorahnung.
Nici kam mit verweintem Gesicht auf
mich zu: „Wir müssen gehen. Das BMZ ruft alle Freiwilligen in
Nicaragua zurück nach Deutschland.“
Ich konnte das nicht glauben. Nein, wir
bestimmt nicht. In San Rafael ist die Lage noch überschaubar. Das
kann nicht wahr sein. Abwarten. Abwarten, was unsere
Entsendeorganisation in Deutschland sagt.
Abwarten und Hoffen.
Im Büro von Cedru trafen wir auf die
anderen Freiwilligen und berichteten die Neuigkeiten. Auch Lena hatte
bereits von einer anderen Quelle erfahren, dass wahrscheinlich alle
Weltwärts-Freiwilligen zurück nach Deutschland müssen.
Für uns alle war das unvorstellbar.
Keiner von uns wollte gehen. Wir reagierten sehr emotional auf diese
Nachricht.
Nach einer Stunde erfuhren wir
schließlich von unserer Entsendeorganisation, dass wir gehen müssen.
Der Rückflug stehe noch nicht fest. Wir müssen gehen. Das BMZ
fordert aus Sicherheitsgründen, dass alle Weltwärts Freiwilligen,
egal wo in Nicaragua, nach Hause müssen. Man kann nichts daran
ändern.
Es war schrecklich. Unbegreiflich. Wir
alle konnten es kaum begreifen und brachen in Tränen aus.
Nicaragua war mein zu Hause. Ich hatte
ein Leben hier. Eine Familie, Freunde, Arbeit. Und nun verliere ich
alles. Es wären nur noch 3 Monate gewesen, bis zur Beendigung
unseres Freiwilligendienstes. Ich hatte mich so auf die letzten
Monate hier gefreut. Einen langsamen Abschied. Dann hätte ich mich
auch auf Deutschland gefreut und wäre bereit, wieder nach Hause
zukommen.
Und was ist mit meiner Familie hier?
Wie wird sich die Situation hier entwickeln. Ist es möglich, dass
der Krieg bald ausbricht? Ich fühle mich so schlecht. Will nicht
nach Hause. Innere Leere. Was soll ich in Deutschland?
Es war zwar nicht immer einfach in
Nicaragua und ich entsinne mich auch an das viele Klagen meinerseits,
aber ich hatte mich an das Leben hier gewöhnt. Habe es lieben
gelernt. Ich durfte so viel lernen und erleben. Habe so liebevolle
Menschen kennen gelernt.
Zu wissen, dass ich wieder ins sichere
Deutschland kehre und meine Familie hier weiterhin bangen und beten
muss, dass sich die Situation wieder beruhigt, ist grauenvoll.
Einen Tag später erhielten wir bereits
unsere Flugdaten. Der 27.05. Die Nacht konnte ich kaum Schlaf finden.
Langsam begriff ich es. Ich habe nur noch 8 Tage. Bald sitze ich im
Flugzeug.
Ich fing schon damit an, die Zeit in
Deutschland zu planen. Wie soll ich die nächsten Monate gestalten.
Ich ängstigte mich davor, in Deutschland in ein tiefes Loch zu
fallen.
Am Nachmittag fand bei unserer Orga
Cedru eine Reunion statt.
Wir besprachen, wie die folgenden
letzten Tage verlaufen werden.
Am Montag werden wir das letzte mal
unsere Schulen besuchen, um Abschied zu nehmen.
Das letzte Mal betrat ich den Schulhof.
Die SchülerInnen kamen auf mich zugerannt, fragten, ob ich nun
Sportunterricht mit ihnen mache. Nein. Es tat mir so leid sagen zu
müssen, dass ich gekommen bin, um mich zu verabschieden. „Nein!
Geh nicht!“, sagten meine Schülerinnen.
Es fiel mir schwer, meine Tränen
zurück zu halten. So sehr hoffe ich, dass die Kinder weiterhin
Sportunterricht erhalten. Sei es von einem/r der LehrerInnen oder
eventuell doch von einem zukünftigen anderen Freiwilligen. Ein
letztes Mal sah ich meine SchülerInnen, mit denen ich so viel Zeit
verbracht und gelacht habe, die mir so viele gute, aber auch
schlechte Momente geschenkt und mir so oft meine Nerven geraubt
haben. Ein letztes Mal laufe ich über den Schulhof. So viel Zeit
habe ich hier verbracht. So viel habe ich gelernt. An den
Herausforderungen bin ich gewachsen. Nun ist es Zeit Abschied zu
nehmen. Danke! Danke, für all die Erfahrungen, die ich in meiner
Einsatzstelle machen durfte. Ich werde die Zeit hier niemals
vergessen!
Einer der schwersten Abschiede liegt
hinter mir.
Es folgt Abschied Nr.2: Abschied vom
Deutschkurs.
Fünf Monate lang haben wir
Freiwilligen zweimal wöchentlich einen kostenlosen Deutschkurs für
junge Erwachsene angeboten. Damals schrieben sich über dreißig ein.
Es verblieben zehn, welche motiviert bis zum Schluss teilnahmen und
mit denen wir eine doch recht schöne Zeit verbracht haben. Mir
persönlich hat der Deutschkurs immer viel Freude bereitet. Es war
mal eine Abwechslung und auch eine berufliche Erfahrung.
Ein letztes Mal trafen wir uns mit den
SchülerInnen, um Ihnen ihr Zertifikat zu überreichen und uns zu
verabschieden. Es wurde außerdem ein leckeres nicaraguanisches Essen
von den TeilnehmerInnen organisiert, als Dankeschön für unseren Unterricht.
Am Mittwoch organisierten wir mit
Cedru ein Mittagessen. Mit vollgeschlagenen Bäuchen
fuhren wir dann gemeinsam an den Strand und sprangen in die Wellen.
Auch hier nahm ich Abschied. Abschied
von dem schönen Strand und dem Pazifik. Wer weiß, wann ich das
nächste Mal wieder im Pazifik schwimmen werde.
Die Tage vergingen. Immer schneller.
Bald schon fing ich an, die letzten Besorgungen zu erledigen und
meinen Koffer zu packen.
Die wohl anstrengendste, belastendste
Woche liegt hinter mir und das Schlimmste würde noch kommen.
Die letzten Stunden brachen an. Mein
letzter Tag in Nicaragua. Für mich ein ganz gewöhnlicher Samstag in
meiner zweiten Heimat. Ich konnte es nicht realisieren. Begriff nicht, dass
ich morgen im Flieger nach Deutschland sitzen werde.
An meinem letzten Abend in Nicaragua
veranstaltete meine Familie ein Abschiedsessen. Wie immer in Plastik-
und Schaukelstühlen in einer Runde vor der Haustür. Es gab
typisches nicaraguanisches Essen, was ich zuvor noch nie gegessen
habe. Zudem bereitete ich noch deutschen Pudding, der allen besonders
gut schmeckte, zu.
Da es plötzlich stark anfing zu regnen,
mussten wir die Feier nach drinnen verschieben.
Dann nahm ich nach und nach Abschied
von den verschiedensten Familienmitgliedern.
Es folgte die letzte Nacht in meinem
Bett. Leider keine schöne, denn in der Nacht musste ich mich
übergeben und klagte über Bauchschmerzen.
Ob es das Essen, der psychische Stress
oder die Nervosität war? Wohl alles zusammen.
Um 7.30 Uhr sollte ich abgeholt werden.
Ich lief nochmal kurz rüber zu Nici's Familie, um mich von ihr zu
verabschieden und dann wartete ich. Wartete auf den schrecklichen
Moment, an dem ich das letzte Mal meine Gastmama in den Arm nehmen
werde. Das letzte Mal auf das Haus blicke, in dem ich die letzten
neun Monate gelebt habe.
Es ging alles so schnell. Im Auto
schossen mir die Tränen in die Augen. Ich wusste nicht, wie ich
fühlen sollte. Ich konnte es nicht begreifen.
Danke! Danke an meine Familie, die mich
so lieb aufgenommen hatte und sich die letzten Monate um mich
gekümmert hat.
Es ging auf den Weg zum Flughafen. Nach
und nach sammelten wir die anderen Freiwilligen ein und
verabschiedeten uns auch von ihren Familien.
Angekommen, Gepäck abgeben, warten,
durch die Kontrolle, zum Gate, warten, ins Flugzeug setzten. So der
Ablauf.
Der Moment, an dem das Flugzeug ins
Rollen kam und wir langsam abhoben, fühlte sich seltsam an. Ich
verließ das Land, das ich die letzten neun Monate mein Zuhause
nannte.
Nicaragua, ich werde dich niemals
vergessen. Ich hatte eine so prägende, lustige, lehrende,
erfahrungsreiche, spannende, unvergessliche und verrückte Zeit hier.
Ich hatte am Anfang meine Probleme und
es war sicherlich nicht immer leicht für mich, aber rückblickend
war Nicaragua die beste Entscheidung meines Lebens. Ich kann meine
Dankbarkeit nicht in Worte fassen. Es fällt mir allgemein schwer
meine Erfahrungen und mein Leben dort zu beschreiben. Ich glaube
auch, dass es für Außenstehende schwer zu verstehen ist.
Daher ist es auch gut, dass ich nicht
alleine bin, sondern meine Mitfreiwilligen habe.
Die für mich wohl wichtigsten Menschen
in der vergangenen Zeit. Die Menschen, die mir immer Halt gegeben
hatten und ohne die ich das alles wahrscheinlich nicht geschafft
hätte.
Menschen, die ich nun zu meinen besten
Freunden zähle.
Ein großes Dankeschön geht an euch!
Ich bin froh, dass ihr dabei ward!
Der Flug war lang und meiner
Bauchschmerzen wegen unangenehm. In Amsterdam trennten sich dann
unsere Wege. Lena flog nach Berlin, Helli nach Nürnberg und für
Robert, Nici und mich ging es nach Düsseldorf. Wir wussten, wir
würden uns wiedersehen. Unser nächstes gemeinsames Treffen findet
bereits in Kürze statt. Daher fiel der Abschied nicht arg schwer.
Der letzte Flug. In ein paar Stunden
würde ich wieder vor meinem Haus stehen.
Wir holten unsere Koffer ab und gingen
durch die Ausgangstüren. Mit Luftballons wurden wir herzlich
empfangen. Dann nahmen wir letzten Drei Abschied voneinander und
es ging für jeden nach Hause.
Ich bin wieder zuhause. Endlich sah ich
meinen Bruder wieder.
Mein Haus kommt mir plötzlich so viel
größer vor. Mein Zimmer so hell. Ich genieße die warme Dusche. Es
kommt mir alles so luxuriös vor. Ich nehme es anders wahr und doch
habe ich das Gefühl als sei ich keine neun Monate weg gewesen.
Auf einmal war Nicaragua so weit weg.
Nun werde ich Zeit brauchen, um
anzukommen und zu realisieren. Und bestimmt werden auch bald die
tiefen Gedanken kommen und mir wird das gerade so ferne Nicaragua
fehlen.
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